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Aller Anfang ist schwere Arbeit

Nachdem wir Crann Og verlassen haben, setzen wir mit der Fähre nach Schottland über. Das Wetter ist genauso regnerisch und rau wie bei unserer Ankunft in Irland. Nach weiteren anderthalb Stunden Busfahrt kommen wir bei unseren neuen Gastgebern im Kreis Dumfries and Galloway an. Ross und Sophia, beide Anfang 40, leben hier mit Sohn Tally (5) und Kater Kuro in einem ländlich gelegenen Haus mit etwa einem Hektar Garten, Fluss und Wäldchen. Ross arbeitet als Toningenieur, Sophia im Bildungssektor als Mediatorin zwischen Privatleuten und Wissenschaftlern. Beide arbeiten in Teilzeit von zuhause aus und deswegen ist auch Tally immer zuhause. Vor zwei Jahren ist die Familie mit Permakultur in Berührung gekommen, als sie in dieses Haus gezogen ist. Denn die Nachbarn führen ein Permakulturzentrum, bauen also Gemüse und Obst nach den Prinzipien der Permakultur an und geben in diesem Bereich auch Kurse und Workshops.

Dann kam also für unsere Gastfamilie der Wunsch auf, ihr recht großes Grundstück für den Anbau von Gemüse zu nutzen. Es besteht kein Anspruch auf Selbstversorgung, eher soll eine schöne Lernumgebung für Tally und ein Ausgleich zum Arbeiten entstehen. Außerdem will die Familie besonders solche Pflanzen anbauen, die im Laden eher teuer sind. Dazu zählen Artischocken, Physalis, Spargel und Kürbisse, aber auch Kohlsorten, Kräuter, Topinambur, rote Beete und Hülsenfrüchte. Es gibt außerdem zwei Gewächshäuser, Hochbeete und eine Streuobstwiese.

Sophia hat zum Thema schon einige Bücher gelesen und saugt das Gärtnerwissen nur so auf. Ross ist vor allem für schwerere Arbeiten und den künstlerischen Aspekt der Gartengestaltung zuständig. Gerade weil hier alles noch so im Aufbau ist, ist dieser Garten für uns sehr spannend. Sophia freut sich sehr, wenn wir ihr immer wieder kleine Fragen zur Bodenchemie und zur Pflanzenphysiologie beantworten können, die wir im Studium behandelt haben. So graben wir am ersten Tag erstmal mehrere Bodenprofile entlang des Hanges, um zu sehen, wo der Boden am humusreichsten ist. Dort macht es am meisten Sinn, das nächste geplante Beet anzulegen. Es macht uns sehr glücklich, dass wir hier auch mal unser Wissen nutzen können und mit in die Planung einbezogen werden. Schließlich kommt das auch einmal auf uns zu. Im Frühjahr will alles zur rechten Zeit ausgesät und umgetopft werden, und irgendwann muss man abschätzen, ob nun endlich der letzte Frost vorbei ist und man alles nach und nach rauspflanzen kann. Dann kommen die nächsten Fragen: Welche Pflanzen vertragen sich zusammen in Mischkultur, welche Pflanzen können auch ein bisschen Schatten ab, wie macht man sich die wenigste Arbeit? Auch wir müssen oft raten und es zeigt sich mal wieder, dass Gartenkunst vor allem auf Erfahrung beruht.
Der gesamte Garten ist in Hanglage und unten am Fluss ist der Boden sehr feucht und wird regelmäßig leicht überflutet. Auf den ersten Blick also erstmal schwierig zum Anbauen. Aber wenn man genauer hinsieht, tun sich doch einige Möglichkeiten auf. Am unteren Ende läuft der Hang aus und bildet eine Art Terrasse. Hier wurde durch jahrelange Erosion im nassen Klima Schottlands aufgrund der Landnutzung die obere Bodenschicht des Hügels abgetragen und am Fuß wieder abgelagert. Deshalb ist hier die Humusschicht etwa doppelt so dick wie am trockenen, steilen Hang. Deshalb schlagen wir vor, den vollsonnigen Standort auf der natürlich gebildeten Terrasse auszunutzen und dort ein großes Beet anzulegen. Sophia ist überzeugt und dann dürfen wir auch schon loslegen: Laura sticht Quadrate mit dem Spaten ab, Arno schüttelt sie mit der Gabel aus und dreht sie zum Trocknen um. So stellen wir sicher, dass wir wirklich nur die obere Vegetationsschicht mit den hartnäckigsten Graswurzeln entfernen, ohne dem wertvollen Humushorizont zu sehr zu Leibe zu rücken. Das ist ganz schön schweißtreibend, aber die Arbeit macht man sich ja auch nur einmal am Anfang. Wirklich umgegraben wird der Boden auf Sophias Anweisung hin nicht. Es passt nicht in die Permakultur-Philosophie und bei der tollen Krümelstruktur halten wir es auch nicht für notwendig. Viele Gärtner graben immernoch aus Prinzip jedes Frühjahr um, einfach, weil man das eben so macht. Dabei ist das ein starker Eingriff ins Ökosystem und macht es den Pilzen und Mikroorganismen unnötig schwer. Wenn der Boden eine gut belüftete Struktur hat, sollte Umgraben nicht notwendig sein. Ist er klumpig oder zu tonig, können guter Kompost oder Pferdemist (und zwar reichlich) Abhilfe schaffen. Beides gibt den Bodenorganismen eine bessere Lebensgrundlage und diese erledigen dann die Arbeit für den Gärtner. Steine entfernen wir allerdings größtenteils aus dem Boden (und davon gibt es in Schottland echt viele!)

Am Rand des Beetes schütten wir dann noch selbstgeschreddertes Holz auf, um einen Weg zu formen und die Unkräuter etwas fernzuhalten. Typisch für Permakulturgärten ist es auch, den Boden mit Pappe (oder alten Teppichen) abzudecken, um Unkräuter durch Lichtentzug zu töten. Das geht natürlich nur, solange noch nichts im Beet gepflanzt ist! Diese Methode ist günstig und scheint sehr effektiv zu sein. Wir sind noch unsicher, ob wir es auch in unserem Garten einmal so machen würden. Denn eventuell blockiert die Pappe auch die Sauerstoffzufuhr für den Boden und obwohl sie nach einiger Zeit komplett verrottet, besteht sie nicht zu 100% aus Holz (bestimmte Kleber oder Druckerschwärze sind möglicherweise nicht unbedenklich).

Da das Beet auch ohne Zutun schon so nährstoffreich ist, ist es in den ersten Jahren perfekt für Starkzehrer wie Kürbisse und Kohlgewächse. In den Folgejahren muss man immer mal etwas Kompost oder Mist zuführen, je nach Zustand des Bodens. Aber hier ist die Erde tiefschwarz, krümelig und feucht. Besser kann es sich eine Gärtnerin nicht wünschen.

Auch über Kompost haben wir hier schon einiges gelernt. Sophias Kompost sieht toll aus. Bis auf ein paar kleine Zweige ist alles verrottet und zusammengeschrumpft. Der Haufen ist dunkel, krümelig und geruchsfrei. Obwohl - wer hätte das gedacht - eine der Geheimzutaten Urin ist. In geringen Mengen erhöht er den Stickstoffgehalt im Kompost und hilft dadurch, besonders holzige Teile oder Grassoden verrotten zu lassen. Im Grunde geht es um das richtige Verhältnis aus Kohlenstoff und Stickstoff. Zu viel Kohlenstoff lässt den Kompost erkalten und austrocknen, dann wird er inaktiv. Zu viel Stickstoff hingegen macht eine schleimige, übelriechende Masse, die nicht vollständig verrottet. Ein bisschen ist es also wie Kuchen backen; die Verhältnisse müssen stimmen, dann braucht man auch kein genaues Rezept.

Wir freuen uns sehr, hier so viel lernen und anpacken zu dürfen. Davon abgesehen, dass jedes Mikroklima anders ist und man mit dem Boden arbeiten muss, den man zur Verfügung hat, sind diese Erfahrung für unsere spätere Planung echt wichtig.

Das Wochenende haben wir hier in der unmittelbaren Umgebung verbracht, denn die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel ist eher schlecht. Das Wetter war aber super und so haben wir uns am Samstag die Fahrräder der Familie ausgeliehen. Wir sind zu einem See in der Nähe gefahren und haben die Sonne genossen. Das Fahrrad fahren haben wir schon sehr vermisst auf der Reise, aber uns hat auch direkt der Hintern geschmerzt danach! Am Sonntag sind wir zu einem anderen See im nächsten Ort gefahren, der ein beliebtes Ausflugsziel in der Gegend ist. Dort haben wir ein Kanu für den Tag gemietet und sind ans nördliche Ende des Sees gefahren. Dort sind wir dann noch ein ganzes Stück flussaufwärts gepaddelt (die Strömung war kaum spürbar, dafür war es etwas windig) und haben an die Peene in Mecklenburg-Vorpommern gedacht. Mittags sind wir auf einer Schafweide an Land gegangen und haben eine Rast gemacht, bevor es dann zurück ging. Den ersten kleinen Sonnenbrand des Jahres haben wir uns dabei auch geholt. Es war ein schöner Ausflug und wir freuen uns auf unsere wenigen verbleibenden Tage in Schottland.