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Sich die Ernte teilen

Irgendetwas läuft mit unserer Landwirtschaft gewaltig schief. Unglaublich große Subventionen halten sie am Leben - doch man hört Landwirte an jeder Ecke klagen, ob nun konventionell oder bio. Wir haben uns daran gewöhnt, dass zu jeder Jahreszeit fast alle Obst- und Gemüsesorten erhältlich sind. Zudem will natürlich jeder möglichst günstig einkaufen. Dadurch entsteht ein großer Druck auf die Landwirte. Zu einem möglichst niedrigen Preis muss ein möglichst großer Output erzielt werden, um überhaupt überleben zu können und selbst das reicht meistens nicht aus. Jeder kennt die Klagen über den Milchpreis oder das Phänomen der immer größer werdenden Betriebe.
Es fällt immer wieder auf, dass viele Menschen der Meinung sind, die Technologie könne alle unsere Probleme lösen. Wenn man nur die Effizienz von Düngemitteln, Maschinen und Bewässerungsanlagen verbessere, könne man den Output immer weiter erhöhen. Gerne wird dabei vergessen, die tatsächliche Produktivität der derzeit üblichen Landwirtschaft - mit Einbeziehung aller Umwelteinflüsse, die auf ihr Konto gehen - mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn es ist erwiesen, dass die Düngemittel- und Pestizideinsätze kontinuierlich erhöht werden müssen, um einen gleichbleibenden Ertrag zu erzielen. Zudem sorgt die typische Brache, die man überall im Herbst sehen kann, für Erosion und einen unnatürlich hohen Wasserverlust des Bodens, der dann oft durch künstliche Bewässerung ausgeglichen werden muss. Früchte und Gemüse außerhalb der Saison zu erzeugen, verbraucht um ein Vielfaches mehr Ressourcen (Licht, Wärme, Wasser), als wenn man den natürlichen Wachstumszeitraum der Pflanze zum Anbau nutzen würde. Ganz abgesehen davon haben die Pflanzen dann auch die meisten Nährstoffe.

Langfristig betrachtet scheint es nicht, als könne die Weltbevölkerung so ernährt werden. Denn die Grundlage für eine gesunde Landwirtschaft ist immernoch ein gesunder Boden und eine intakte Umwelt. Und die fördern wir derzeit ganz und gar nicht. Kleinbauern in Afrika oder Asien hingegen wirtschaften langfristig wesentlich effizienter pro Fläche.
https://www.weltagrarbericht.de/themen-des-weltagrarberichts/baeuerliche-und-industrielle-landwirtschaft.html

Man muss sich klarmachen, dass unsere Landwirtschaft gänzlich industrialisiert ist. Tiere werden wie Maschinen behandelt, Pflanzen werden gentechnisch verändert (und dann als Futter für diese Tiere verkauft) und die natürlichen Gegebenheiten eines Standortes werden komplett unberücksichtigt gelassen. Moore werden entwässert und dadurch irreversibel geschädigt, Regenwälder abgeholzt und zu Sojafeldern (Tierfutter) gemacht und Trinkwasser durch übermäßige Gülleausbringung verunreinigt. Ein großes Problem ist auch, dass Bauern von Großkonzernen wie Monsanto abhängig sind. Diese produzieren Hybridsaatgut, das jedes Jahr neu gekauft werden muss, da es sterile Pflanzen erzeugt. Für viele Landwirte ist dieses Saatgut aber aufgrund des höheren Ertrages im Konkurrenzkampf die einzige Option.
Doch ist das alles richtig so? Denken wir an all diese Mechanismen, wenn wir in der Werbung die Kuh auf der Weide sehen? Und selbst wenn wir nicht mehr mitspielen wollen, was bleibt uns für eine Wahl?
Seit den 60er Jahren gibt es ein anderes Landwirtschaftsmodell. Es nennt sich Solidarische Landwirtschaft oder Community Supported Agriculture (CSA). In gewissem Sinne hebelt es all diese festgefahrenen Mechanismen aus und steht für eine gänzlich neue Form der Produktion.
Jeder Hof stellt seine eigenen Regeln und Preise auf, aber das Grundprinzip ist überall gleich. Die Konsumenten schließen mit dem Landwirt einen Vertrag (meist über ein Jahr) ab und bezahlen ihn oder sie im Vorraus. Dann erhält der Käufer eine wöchentliche Abokiste mit dem Gemüse und Obst, das gerade Saison hat. Die Konsumenten haben ein Mitbestimmungsrecht auf das, was angebaut wird. Trotzdem stehen natürlich im Februar nur Sachen zur Verfügung, die auch im Februar wachsen (und das ist gar nicht so wenig, wie wir auf der Reise ja schon gesehen haben). Der Landwirt wiederum muss seine kompletten Kosten transparent machen - vom (bestenfalls selbst produzierten) Saatgut über Ersatzteile und Benzin für Maschinen bis hin zu seinem eigenen Lohn. Denn auch Landwirte haben ein Recht auf ein faires Einkommen, auch wenn das in der Realität meist unter den Tisch fällt.
Dadurch wird jedem Konsumenten der tatsächliche Preis seiner Nahrung erst einmal in vollem Umfang klar. Denn wie oben erklärt, hat der Markt extrem preisverzerrende Effekte, die der Realität nicht gerecht werden können, da Umweltfolgen etc. bei der Preisbildung nicht einbezogen werden. Zudem gibt es häufig die Möglichkeit, an Arbeitseinsätzen auf dem Hof teilzunehmen und somit genau zu sehen, wie das Gemüse angebaut wird - so entsteht ein enges Verhältnis zwischen Produzent und Konsument, was heutzutage eigentlich verloren gegangen ist. Wenn jeder sehen würde, wie aufwändig es ist, Nahrung zu produzieren, würde dann immernoch soviel essbare Nahrung im Müll entsorgt werden?
https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2012-03/lebensmittel-muell-mindesthaltbarkeitsdatum

 

Zudem werden so viele Produkte weggeworfen, noch bevor sie den Verbraucher überhaupt erreichen. Krumme Gurken, zu kleine Kartoffeln, Möhren mit zwei "Beinen" - auch das ist ein Produkt unseres Kaufverhaltens, das sich von natürlichen Lebensmitteln schon weit entfernt hat. Für alles gibt es eine Norm und ein Mindesthaltbarkeitsdatum. Auch hiervon distanziert sich die Solidarische Landwirtschaft klar.

Landwirte leiden heutzutage häufig unter einer großen finanziellen Unsicherheit. Es gibt keine garantierten Abnahmemengen und selbst die technologisierteste Produktionsweise ist vom Wetter nicht komplett unabhängig. Auch bei Ernteausfällen erhält der SoLaWi-Bauer seinen vollen Preis - solidarisch eben. Auch vor plötzlich schwankenden Marktpreisen ist er so geschützt. Das Risiko wird auf viele Schultern verteilt und wird somit für den einzelnen Konsumenten nicht zu teuer. SoLaWi-Betriebe sind berüchtigt dafür, die Ernährungsgewohnheiten ihrer Konsumenten umzustellen. Man ernährt sich automatisch saisonaler, regional sowieso, und muss nicht ständig dafür recherchieren, sondern einfach den Bauern seines Vertrauens fragen. Vertrauen - wäre es nicht schön, wenn das in unserer Produktionskette wieder eine viel größere Rolle spielen würde?

Der Hof, auf dem wir uns gerade in Schweden befinden, kann nur durch Solidarische Landwirtschaft überleben. Es gibt keine andere Möglichkeit, eine Produktionsweise durchzuführen, die den Betrieb langfristig in den schwarzen Zahlen hält. Dabei ist SoLaWi nicht immer teurer als Bio-Lebensmittel. Es kommt auf den Hof und die Mitgliederzahl an. Aber in jedem Fall wird es langfristig nicht funktionieren, wenn wir weiterhin nicht bereit sind, den wahren Preis für Lebensmittel zu zahlen. Sicher gibt es auch bei diesem Konzept noch Entwicklungsbedarf und Verbesserungsmöglichkeiten. Aber wer sich nicht selbstversorgen kann oder will, und wem bio nicht genug ist, der kann sich ja nach einem Betrieb umsehen, der dieses Konzept schon umsetzt.

 

https://www.solidarische-landwirtschaft.org/