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Start in die Gartensaison

Der letzte Schnee ist endlich geschmolzen und wir können voll in die Gartenarbeit einsteigen. Die letzten Fröste werden das zwar in diesem Klima noch nicht gewesen sein, aber es gibt schon einiges auf der 0,6ha großen Fläche von Yolande und Andrew zu tun. Unser erster Arbeitstag beginnt entspannt, wir sieben Andrews Komposterde und säen ein paar Blumen und Kräuter, die wir vorerst im Gewächshaus platzieren. Außerdem muss ein kleines Hochbeet hasensicher gemacht werden - diese vermehren sich hier sprichwörtlich und fressen gerne das Gartengemüse. Für solche Zwecke haben unsere Gastgeber ein paar Weiden geköpft und schneiden regelmäßig die jungen, biegsamen Zweige ab. Damit kann man ganz einfach wunderschöne Zäune und Begrenzungen flechten. Das Naturmaterial passt optisch wunderbar in den Garten, kostet nichts und ist sehr stabil. Wir sind ganz entzückt von dem Ergebnis, das uns etwa eine Stunde Arbeit gekostet hat.

Auf dieser kleinen Farm arbeiten wir das erste Mal im strengeren Sinne nach biodynamischen Regeln. Unsere Arbeitstage sind nicht sehr selbstbestimmt, sondern werden vom Mondkalender vorgegeben. Es gibt Wurzel-, Blatt-, Blüten-, Frucht- und graue Tage. Je nachdem, welchen Teil der Pflanze man fördern will, entscheidet sich, an welchem Tag man womit arbeitet. So werden an einem Fruchttag die Obstbäume beschnitten, an einem Wurzeltag pflanzt man Pastinaken, rote Beete und Möhren, an einem Blatttag erntet und trocknet man Kräuter und an einem Blütentag sät man Blumen aus. An grauen Tagen kann man alles andere machen, wie Schuppen aufräumen und Sense schärfen. Nach diesem Prinzip richten Andrew und Yolande ihre gesamte Gartenarbeit aus, und der demeter-Landbau übrigens auch. Der Kalender wird Jahr für Jahr im Voraus berechnet und lässt sich auch im Internet einsehen. Das ganze Konzept des biodynamischen Landbaus hier zu erklären, würde etwas den Rahmen sprengen, aber im Grunde geht es darum, den Garten unter kosmischen Einflüssen zu betrachten und seinen Ertrag zu maximieren, indem man sich nach diesen natürlichen Rhythmen richtet. Das klingt für Ungeübte erstmal nach Hokuspokus, kann aber durch Experimenten bestätigt werden. Der auf- und absteigende Mond beispielsweise beeinflusst die Pflanzensäfte, so sollte man Bäume und Sträucher eher bei absteigendem Mond schneiden, da sich dann die Pflanzensäfte zurückziehen und man der Pflanze nicht so viel Schaden zufügt, als wenn man sie im vollen Saftfluss beschneiden würde (Achtung, nicht mit ab- und zunehmendem Mond verwechseln!). Natürlich unterliegt das ganze System noch anderen Einflüssen, aber biodynamischer Landbau wird auf der ganzen Welt erfolgreich durchgeführt. Neben dem kosmischen Rhythmus sind auch die natürlichen Präparate ein großer Teil der biodynamischen Gartenkunst. Gegen Schädlinge, Krankheiten, zur Düngung und Unterstützung des Kompostierungsprozesses werden Kräuterauszüge hergestellt, mit denen der Garten behandelt wird. Dazu werden wir hoffentlich in den nächsten Wochen noch mehr lernen, denn die Beiden stellen auch einige Präparate selbst her.

Dieses Gärtnerkonzept kann auch Hand in Hand mit anderen Ansätzen wie Permakultur (die naturnahe Kreisläufe im Garten als Hauptziel hat) gehen. Das muss jeder Gärtner mit sich vereinbaren und sehen, was am besten funktioniert. Hier ist auch nicht alles immer im Plan, die praktische Erfahrung zählt letztendlich auch.

Andrew und Yolande sind beide auch in Naturschutzorganisationen in der Region engagiert. Sie freuen sich immer sehr, wenn wir etwas aus unserem Studium berichten können. Neben dem Ertrag und der Natürlichkeit der produzierten Lebensmittel ist den beiden auch sehr wichtig, dass sich auf ihrem Grundstück Wildtiere und -pflanzen wohlfühlen. Nicht ganz uneigennützig, denn das erhöht die Lebensqualität und hilft dem Garten. Vögel und Insekten fressen Schädlinge, genauso wie kleine Säugetiere.

Deshalb heißt das erste große Projekt des Jahres "Hedge laying". Es gibt dafür keine richtige Übersetzung, aber wörtlich bedeutet es soviel wie "die Hecke legen". Andrew zeigt uns ein Lehrvideo und den Teil seiner Hecke, den er schon auf diese Weise gestaltet hat: Die einzelnen Sträucher, die Bestandteil einer Hecke sind, werden zu 80% in Bodennähe (per Hand) durchgesägt oder gehackt und dann umgeknickt. Was erstmal brachial klingt und wüst aussieht, verfolgt eine ganz einfache Idee: Anstatt die Hecke immer höher wachsen zu lassen, sorgt man dafür, dass sie so dicht wie ein Zaun ist. Es entstehen somit keine Lücken, in denen Kletterer wie Efeu und Waldrebe wuchern, sondern man fördert die klassischen Arten der Kulturlandschaft Hecke wie Weißdorn, Schlehe, Rosen, Hartriegel und Stechpalme. Zusätzlich erhöht eine dichte Hecke den Wert des Habitats für Wildtiere drastisch. Die Hecke wird zum Brutplatz, zur gedeckten Tafel und zum Hotspot der Artenvielfalt.
Dem liegt eine entscheidende Frage des Naturschutzes zugrunde: Ist eine vom Menschen geschaffene Landschaft schützenswert? Im Fall der Hecke könnte man doch auch einfach alles sich selbst überlassen, wäre das nicht "echter" Naturschutz? Das kommt auf den Betrachtungswinkel an. In diesem Fall würde die Hecke irgendwann zu einer Allee werden, oder vom Efeu erstickt. Mit diesem starken Eingriff hingegen kann man in kurzer Zeit ein wertvolles Habitat schaffen, das für viele Arten in unserer intensiv genutzten Landschaft rar ist.

Zuerst haben wir also die gesamten 50m Hecke von Efeu und Waldrebe befreit, morsche Baumstämme abgesägt und alles zugänglich gemacht. Dann haben wir jeden einzelnen Stamm gelegt und in die gewollte Richtung gebogen. Fixiert wird das Ganze ebenfalls mit einem Naturmaterial. Junge Eschenstämme, die wir in einem Wald (mit Erlaubnis) geschlagen haben, werden zu Pfählen, zwischen denen wir noch jüngere Eschenstämme flechten. Das gibt der ganzen Konstruktion Stabilität und man kann die Hecke anfangs niedrig halten, bevor sie dann ausschlägt und sich wieder regeneriert.

Ab jetzt kann die Hecke sich so gut wie selbst überlassen werden. Wenn man sich einmal die Arbeit gemacht hat, wird das Schneiden die nächsten Jahre viel einfacher. Man muss nicht mehr ständig dagegen ankämpfen, dass die Sträucher "hoch hinaus" wollen und das nächste "Legen" ist erst nach 50 Jahren wieder fällig. Da ist ein schnell aufgestellter, aber pflegebedürftiger, Metallzaun auf lange Sicht doch nicht günstiger - eine geniale Technik, die wir so noch nie gesehen haben! Die Hecke sieht wild und natürlich aus, ab dem ersten Tag sehen wir viele Vögel in den Sträuchern und man kann sich schon gut vorstellen, wie wohl sich Igel und Co. in diesem sicheren Versteck fühlen. So einfach kann Naturschutz sein... Die Technik ist übrigens schon sehr alt und eine englische Tradition, die heute leider kaum noch jemand ausführt.

Das Hedge laying hat uns großen Spaß gemacht und überhaupt fühlen wir uns hier wie zuhause. Es gibt leckere Sachen zu essen und um diese Zeit des Jahres muss man beim saisonalen Kochen manchmal kreativ werden, damit man dem Lauch und der roten Beete nicht überdrüssig wird. Eine Herausforderung, die wir vier gerne annehmen. Unsere Gastgeber wandeln insgesamt eher auf alternativen Pfaden: Sie sind politisch engagiert und haben sehr viele Interessen, reisen regelmäßig um die ganze Welt und leben beide pro Jahr von insgesamt 5000£, die sie fast ausschließlich mit der Vermietung ihrer zwei Zimmer im Haus verdienen. Wie das geht und was im Frühling noch so im Garten ansteht, das werden wir in den kommenden Wochen lernen.